Das Vorwort – ein Überzeugungstäter
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Freundin, die sehr zurückgezogen lebt und sich scheut, Partys oder überhaupt Veranstaltungen zu besuchen, in denen sie mehr als vier oder fünf Menschen begegnet. Sie ist sehr an Kunst interessiert, geht aber am liebsten alleine oder mit Ihnen ins Museum. Denn Sie verstehen viel von Kunst und können das Besondere eines Kunstwerks wunderbar vermitteln. Es macht Spaß, Ihnen zuzuhören.
Machen Sie neugierig!
Nun findet nächste Woche eine Vernissage eines Künstlers statt, der noch recht unbekannt ist, den Sie aber sehr schätzen. Sie sind der Meinung, Ihre Freundin sollte unbedingt, die Gelegenheit wahrnehmen und sowohl den Künstler als auch seine Werke kennenlernen. Sie sind sicher, dass es ein großer Gewinn für sie wäre. Was tun sie? – Wohlwissend, dass Ihre Freundin solche Veranstaltungen wie die Pest meidet. Sie
mit Engelszungen
… auf sie ein. Sie entwerfen ein verführerisches Bild davon, welche wunderbaren Sinnesfreuden und Glücksgefühle diese Kunstwerke in Ihnen und bestimmt auch in Ihrer Freundin auslösen, wie spannend und anregend jede Begegnung mit diesem Künstler ist, wie tief seine Kunst Sie beeindruckt. Und genauso verhält es sich mit dem Vorwort eines Buches. Es ist
Ein Versprechen an die Leser,
… etwas Neues, Unbekanntes, etwas Eindrucksvolles, Berührendes, Schönes, Lehr- oder Hilfreiches zu erfahren. Es entwirft ein Bild davon, was in diesem Buch auf die Leser wartet und welchen Gewinn sie aus der Lektüre ziehen werden. Im Idealfall verführt es die potentiellen Käufer, das Buch in den Einkaufskorb zu legen und voller Vorfreude mit der Lektüre zu beginnen. Denn nach den Klappentexten ist das Vorwort der wichtigste Verkaufstext direkt im Buch.
Versprechen muss man halten
Das weiß schon jedes kleine Kind! Wenn Sie es schaffen, ein Vorwort so zu schreiben, dass der Drang danach, weiterzulesen, unwiderstehlich ist, haben Sie gewonnen. Und fast ebenso schnell können Sie alles Gewonnene wieder verlieren, wenn dieses Versprechen nicht eingelöst wird und Ihre Leserinnen und Leser enttäuscht sind. Es ist die Absage an eine mögliche Liebesbeziehung. Und je nachdem wie einflussreich die Lesenden sind – ich denke da zum Beispiel an Rezensenten einer Zeitschrift oder eines Blogs – das Aus für Ihr Buch.
Schreibende tun also gut daran, dieses Vorwort ernst zu nehmen und sich einige Gedanken zu machen, wenn Sie es verfassen. Und da stellt sich schon die erste Frage – auch für Ghostwriter wie mich:
Wann schreibe ich am besten das Vorwort?
Das Vorwort zum Schluss schreiben
Viele meiner Kolleginnen schreiben das Vorwort erst ganz zum Schluss, wenn alle Kapitel fertig sind und der Inhalt des Buches komplett vorliegt. Das hat den Vorteil, dass die eben beschriebene Gefahr des nicht eingelösten Versprechens minimiert wird. Sie wissen genau, was drinsteht und können im Vorwort exakt darauf vorbereiten.
Die Gefahr dabei ist, dass das Vorwort dröge und mechanistisch wird. Dann zählen die Autorinnen auf: Im ersten Kapitel behandeln wir dies und jenes, im zweiten erfahren Sie dies und das und im dritten können Sie … Sie ahnen, welche Folgen das hat.
Das Vorwort zu Beginn schreiben
Wer das Vorwort zu Beginn der Schreibarbeit verfasst, läuft andererseits Gefahr, seine ganzen Ideen zwar anregend zu präsentieren, aber mehr zu versprechen, als dann gehalten wird oder genau umgekehrt, einiges zu vergessen, dass sich erst während der Arbeit an den einzelnen Kapiteln entwickelt und zu Beginn noch gar nicht absehbar ist.
Das Vorwort mehrmals schreiben
Ich bevorzuge einen dritten Weg – die Kombination aus beidem. Das hat unter anderem mit der besonderen Situation des Ghostwriters zu tun, der in kurzer Zeit all das erfassen und aufschreiben muss, was Auftraggeberinnen meist in jahrelanger Arbeit erkannt, wieder und wieder getestet, variiert und schließlich und für gut befunden haben.
Der Workshop zum Buch
Zu Beginn einer Zusammenarbeit für ein Sachbuch, das keine Autobiografie werden soll, setze ich mich mit den zukünftigen Autorinnen zusammen und erarbeite mit ihnen das Ziel des Buches und die Schwerpunkte der einzelnen Kapitel, die dahin führen sollen und in welcher sinnvollen Reihenfolge bzw. Gliederung sie stehen können. Ich höre mir an, was die Autoren bewegt, warum sie das Buch in die Welt bringen wollen und was es für sie bedeutet, wenn sie das Buch am Ende in der Hand halten. Dann verfasse ich eine Gliederung und schreibe ich das erste Vorwort.
Der Zauber des Anfangs
Es ist für mich ein ganz besonderer Moment, diese ersten Zeilen für ein neues Buch zu verfassen. Eine Art jungfräuliche Erwartung beflügelt mich und nicht selten habe ich mir schon während oder direkt nach dem Workshop Notizen dafür gemacht. Warum? Weil in diesen ersten Stunden der Zusammenarbeit die Luft vibriert. Die Autoren sind enthusiastisch, dass es nun endlich losgeht und wie meist zu keinem anderen Zeitpunkt schaffen sie es, ihr Brennen für dieses eine Thema auf mich zu übertragen. Ich höre sehr genau, welche Worte, welche Bilder, welche Sprache sie benutzen und sehe die Welt mit ihren Augen. Der perfekte Moment, dieses Brennen in einem Vorwort einzufangen. Denn Enthusiasmus ist ansteckend! Das kann jeder bestätigen, der schon einmal ein unwiderstehliches Vorwort gelesen hat.
Das Feedback der Autoren
Mein Vorgehen ist nicht ganz uneigennützig. Denn damit hole ich mir das erste Feedback von meinen Kunden. Sobald das Vorwort fertiggestellt ist, gebe ich es an sie weiter und warte auf ihre Rückmeldung, bevor ich weiterschreibe. Damit gewinne ich eine Art Kontrolle darüber, ob ich sie und ihr Anliegen richtig verstanden habe, ob ich den wesentlichen Kern des Themas getroffen und das Versprechen korrekt formuliert habe und ob mein Stil ihren Erwartungen entspricht.
Kontrolle beim und nach dem Schreiben
Im Verlauf des Schreibens an dem Gesamtwerk orientiere ich mich am Vorwort. Ich lese es immer wieder und prüfe, ob das Versprechen eingehalten wird. Es kommt auch vor, dass die Autoren vergessen haben, mir wichtige Details mitzuteilen, die sie beim Gegenlesen der einzelnen Kapitel plötzlich vermissen. Dann arbeite ich diese ein und nehme sie, je nach Bedeutung, auch ins Vorwort auf. Das Vorwort verändert sich so im Laufe der Arbeit am Buch.
Es versteht sich nun fast von selbst, dass ganz zum Schluss, wenn alle Kapitel abgeschlossen sind, noch einmal das Vorwort überprüft und gegebenenfalls überarbeitet wird. So verliert es nicht den Zauber der anfänglichen Begeisterung und verspricht nichts, was es nicht hält.